Andreas Mettler
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Karaoke

Wenn das Mikrofon größer ist als der Sänger...
Wenn das Mikrofon größer ist als der Sänger...

Nein, genaugenommen singe ich nicht! Auf einer Bühne stehen, mit dem Po wackeln und Gefühle zeigen, das geht überhaupt nicht! Was ich tue, wenn ich ein Mikrofon in die Hand nehme, hat einen ganz anderen Hintergrund. Doch dazu später mehr.

Tatsächlich hatte mir die Sangeskunst vor rund 25 Jahren meinen Realschulabschluss gerettet. Und das, ohne dass mich irgendwer tatsächlich singen gehört hätte. Ich war in dieser Zeit gerade leidenschaftlich mit der Entwicklung von Computerspielen für den Commodore 64 befasst (an Tagen, an denen ich zur Legendenbildung neige, bezeichne ich das als meine erste Firma) und hatte recht wenig Zeit für die Schule gehabt. Warum auch? Ich wußte schließlich, dass sich schon bald die Öffentlichkeit auf der Straße nach mir umdrehen würde, ob meiner Erfolge als Spieleprogrammierer. Nur leider gab es in unserem Dorf recht wenig Öffentlichkeit und noch weniger Leute, die sich den Luxus eines Commodore-Computers geleistet hätten.

So galt es also, eine der zwei verbliebenen Fünfen mittels mündlicher Prüfung aus meinem Zeugnis zu beseitigen, um meinen schulischen Werdegang nach dem Realschulabschluss noch ein wenig fortsetzen und beschönigen zu können. An eine Berufsausbildung war mit diesem Zeugnis ohnehin nicht zu denken. Die eine Fünf lag bei Chemie. Hier standen die Chancen aussichtslos, noch irgendetwas zu ändern. Der Haß zwischen der Chemielehrerin und mir war längst zu einer gegenseitigen Vereinbarung geworden (Ich glaube, wir hatten das sogar schriftlich niedergelegt). So blieb noch die Fünf in Musik. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie diese zustande gekommen war und zweifellos war sie auch völlig ungerechtfertigt. Schließlich war ich gewiss der einzige Schüler in meinem Jahrgang, der Beethoven-Platten in seinem Regal stehen hatte. Die mündliche Prüfung in Musik bestand aus einer Reihe theoretischer Fragen und einer praktischen Prüfung. Bei letzterer empfiehlt es sich, ein Musikinstrument gelernt zu haben. Anderenfalls muss man singen. Da meine dreistimmigen SID-Werke vom Commodore 64 vermutlich kaum meinen Musiklehrer zu begeistern gewusst hätten, blieb nur mein (äußerst schwaches) Vertrauen in die eigene Stimme. Irgendwann in den vergangenen Monaten des Musikunterrichts war einmal das Lied „Blowing in the Wind“ von Bob Dylon gesungen worden und so hielt ich es für eine gute Idee, auch diesen Song für die Prüfung vorzuschlagen.

Der Rektor der Realschule saß am Klavier und das war dann auch meine Chance: Der gute alte Mann (der nicht halb so alt war, wie er aussah) neigte dazu, manchmal zwar nicht durchgehend notenkonform, aber in jedem Falle immer sehr laut zu spielen. Und so murmelte ich mein Liedchen, gelegentlich unterbrochen vom rektorschen Ruf „Lauter!“, vor mich hin. Schon die Werbung hat herausgefunden, dass unterschwellige Botschaften oft am besten wirken und so wurde mein ungehörter Gesang und mein unerhörter Nicht-Gesang tatsächlich zur Rettung meines Realschulabschlusses.

Jahre vergingen. Aus der Kundschaft meines letzten geschlossenen Internetcafés heraus hatte sich eine Gruppe von Nerds zusammengefunden, die jeden Samstag bei mir einkehrte (Bis heute bin ich sie nicht losgeworden). Und oft stellte sich an diesem Tag die Frage, welche Nerd-Aktivitäten wir denn noch nicht ausprobiert hätten. Und immer öfter fiel in diesem Zusammenhang der Begriff „Karaoke“. Und dabei blieb es auch, jedenfalls solange ich in einer Mietwohnung verweilte. (Vermutlich habe ich mir vor allem deshalb ein eigenes Haus gekauft, um guten Gewissens Karaoke-Partys feiern zu können.)

Und am Silvester 2012 war es dann erstmals so weit. Ich hatte kurz vor der nerdigen Silvesterparty im lokalen Medienkaufhaus noch ein Minimikrofon für den PC gekauft, mir ein paar Karaoke Playbacks besorgt und ein bisschen Probegesungen. Das Mikrofon neigte dazu heftig zu übersteuern und vor allem ein lautes Krachen an den Verstärker weiter zu geben. Und das hat mir gut gefallen: Es wäre ja grausam gewesen, meine eigene Stimme hören zu müssen.

Und bei diesem Prinzip bin ich auch geblieben: Karaoke, ja! Aber Hauptsache, ich höre nicht den ganzen Abend meine eigene Stimme im Lautsprecher. Und aus diesem Ansatz ist schon so manche lustige Imitation entstanden. Und der Vorteil ist: Ich muss gar nicht singen können. Ich imitiere einfach Künstler, die gut singen können. Das genügt völlig. Und mein Repertoire reicht mittlerweile von Ziggy Stardust bis Johannes Heesters.

Der Kreis der Willigen, die ein Mikrofon in die Hand nehmen möchten (und das teilweise auch schon getan haben) ist im letzten Jahr größer geworden und jüngst bin ich gefragt worden, ob ich einen Karaokeabend mal außerhalb meines (absolut geräumigen) Wohnzimmers veranstalten möchte. Hier im dörflichen Umfeld gibt es dazu durchaus ein paar geeignete Räumlichkeiten. Vorstellbar ist das auf jeden Fall. Aber ich werde nicht mit dem Po wackeln und Gefühle zeigen!

Ach ja, und falls noch irgendwer mitsingen möchte, dann sage ich „Herzlich Willkommen!“

geschrieben 2014 von Andreas Mettler. Veröffentlicht: 18.02.2014

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