Andreas Mettler
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Unsterblichkeit

Onkel Gilgamesch
Onkel Gilgamesch

Ich bin in einer Familie der Siebenden-Tags-Adventisten aufgewachsen. Adventisten nehmen die Schöpfungsgeschichte wörtlich und feiern den Gottesdienst am Samstag. Im Gegenzug erhalten sie VIP-Tickets für den Himmel.

Ich bin kein Adventist geworden und somit habe ich auch meine Unsterblichkeit verwirkt. Das ist schon ein großer Verlust für mein Leben und vor allem für die Zeit danach. Aber vielleicht wäre ein sündenfreies Leben in Vollkommenheit, das ewig währt, auf Dauer auch gar nicht so unterhaltsam gewesen. Die kleineren und größeren Fehler und Macken gehören zu meiner Persönlichkeit (um nicht zu sagen, sie sind wohl meine entscheidenden Merkmale) und würde ich eines Tages fehler- und sündenfrei durch den Himmel wandern, so käme ich an der Frage, ob das denn wirklich noch ich selbst bin, kaum vorbei. Eine schwierige Frage, schließlich erneuern sich alle Zellen meines Körpers ungefähr alle sieben Jahre neu. So gesehen bin ich rein körperlich schon mehr als sechs mal gestorben und neu geboren worden. Und mit Veränderungen in meiner Seele oder Psyche sieht das nicht viel besser aus. Ich schwärme zwar oft von dem Jungen, der ich einmal war, aber ehrlich gesagt würde ich heute niemandem empfehlen mit dem kleinen Mistkerl von damals viel Zeit zu verbringen. Das macht bestimmt keinen Spaß! Wohlwissend, dass ich mich auch zu Lebzeiten stets verändere (und mir alles peinlich ist, was länger als zwei Jahre zurück liegt), würde Unsterblichkeit für mich bedeuten, möglichst viel von dem, wie ich mich heute seelisch und körperlich definiere, in die Unsterblichkeit mitzunehmen.

Im Kinofilm „Logan´s Run“ aus den 1970er Jahren erzählt man den Menschen, die dreißig geworden sind, dass sie nun die Reise ins Karusell zur „Erneuerung“ antreten müssten. Und man zeigt ihnen die neu geborenen Babys: „Schaut mal, das sind die Erneuerten!“ Natürlich war das Karusell nichts anderes als eine Killermaschine und die Neugeborenen hatten nichts mit den frühzeitig Verstorbenen zu tun. Aber offenbar scheint es schon eine beruhigende Wirkung zu haben, an eine Unsterblichkeit zu glauben, selbst wenn die neue Identität keine Erinnerung und auch keine Eigenschaften der vermeintlich vorigen aufzuweisen hat. Die Reinkarnationslehren haben nicht viel mehr zu bieten als die „Erneuerung“ aus Logan´s Run und ich halte es für ungewiss, ob das christliche Bild des Daseins im Himmel in dieser Hinsicht viel konkreter ist.

Ich halte mich lieber an König Gilgamesch: Obwohl selbst zu gewissen Teilen göttlich, war es ihm nicht genug, auf ein ungewisses Dasein bei den Göttern nach dem Tod seiner materiellen Hülle zu hoffen. Er suchte nach irdischer Unsterblichkeit. Gemäß des Gilgamesch Epos fand er auch ein lebensverlängerndes Mittelchen, was er aber am Ende seiner Reisen leider auch wieder verlor.

Vermutlich ist der Stand der heutigen Wissenschaft gar nicht mehr so weit davon entfernt, den Grund für Alterung und Sterben zu finden. Glaubt man an die Evolutionstherorie (die in vielen Punkten auch nicht viel glücklicher argumentiert als die Schöpfungsgeschichte), dann war der Zyklus von Geburt, Leben und Sterben und der damit verbundene Nachwuchs an stets neuen Generationen offenbar ein Wettbewerbsvorteil für Mensch und Tier. Aber was ist eigentlich noch natürlich an unserem Leben? Von so vielen Wettbewerbsvor- und Nachteilen aus der Evolution haben wir uns längst verabschiedet und als Brillenträger weiß ich, wovon ich spreche.

Es mag ein natürlicher Schutzmechanismus des Menschen sein, irdische Langlebigkeit sich nicht wünschen wollen zu glauben. Denn das hieße auch, sich mit einer möglichen Nichtexistenz auseinander zu setzen und davon wird man wirr im Kopf: Da kämpft man sein ganzes Leben lang mit seinen Sorgen, löst seine Probleme und wächst an seinen Aufgaben, füllt den eigenen Arbeitsspeicher mit sinnvollem und höchst unnützen Wissen und dann stirbt man und alles war umsonst. In einhundert Jahren ist man im besten Falle noch ein Name im Stammbaum und auch die Idee, was Großes zu leisten, woran sich die Nachwelt erinnert, bleibt eine Illusion, wenn man selbst daran nicht teilhaben kann.

Vermutlich wäre die Entschlüsselung des Programms für Altern und Sterben recht zeitnah auch das Ende aller Religionen. Denn wenn die Unsterblichkeit real greifbar wird, dann verliert die Kirche ihr Monopol auf die von ihr definierte Ewigkeit. Und vermutlich wäre es mit dem Ende der Religionen dann auch etwas friedlicher auf unserem Planeten.

Noch ist es nicht so weit und so bleibt mir nur der Versuch, einigermaßen gesund zu leben, um vielleicht noch in den Genuss eines wirklich langen Lebens zu kommen. Ich gehe mal davon aus, dass mir die ultimative Lebensverlängerung dann mit Mitte neunzig vergönnt sein wird und dass ich dann noch einmal tausend Jahre mit den Gebrechen eines Neunzigjährigen weiter leben werde. Und danach habe vermutlich selbst ich die Nase voll vom langen Leben.

Das Thema habe ich auch zur Kurzgeschichte verarbeitet...

geschrieben 2014 von Andreas Mettler. Veröffentlicht: 03.01.2014

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